Freitag, 14. Oktober 2011

Von schnackselnden Kaisern

Ich hatte das ja schon öfter gehört und gesehen, wie sich Westler als große China-Kenner geben. Spätestens, wenn Sie geschmeidig eine Visitenkarte aus der Innenseite des Sakkos gleiten lassen, um diese anschließend der hiesigen Etikette entsprechend mit beiden Händen zu übergeben und einem unter die Nase halten, ist klar: Hier hat man es mit einem China-Profi zu tun, der keine Gelegenheit auslässt, um sein Wissen über und seine scheinbar perfekte Assimilation in diese ach so fremde Kultur zu suggerieren.

Der Höhepunkt des Prozederes besteht anschließend darin, dass mit großem Brimborium und allerlei Erklärungen der eigene chinesische Name präsentiert wird - das letzte Zeichen der kompletten Hingabe an das Gastland, könnte man denken. Davon müssen sämtliche Integrationsbeauftragten der Welt träumen.

Bislang fand ich das reichlich albern. Den Namen auszutauschen wie ein billiges T-Shirt, je nachdem, ob man mit jemanden aus Land x oder y in Kontakt steht, scheint grotesk. Ein bestelltes Feld für Blender und Schwätzer, die chamäleonesk ihre Identität verändern.

Klar, ein paar Sachen vereinfacht es: Der Gegenüber weiß sofort, wie man den (falschen) Namen des Gegenübers aussprechen soll, man kann ihn sich vielleicht leichter merken (könnte aber auch andersrum sein?), und man ist nicht irritiert, wenn statt des Mannes, mit dem man zuvor schon lange per Email korrespondiert hat, beim ersten Zusammentreffen auf einmal eine Frau erscheint.
Gleichzeitig muss man sich pro Person aber noch einen Zusatz-Namen merken, damit man in manchen Situationen weiß, über wen da gerade gesprochen wird. Und man kann sogar, statt an Akzeptanz im Gastland zu gewinnen, jeglichen Respekt verlieren. Das merke ich bei manchem Chinesen, die dieses Namensspiel auch sehr gerne betreiben. Da begegnen einem dann haufenweise James, Francis und in einer deutschen Firma gerne auch schon mal ein Franz oder eine Gaby. Unfreiwillig komisch wird's leider in dem Moment, wenn Leute auf der Bildfläche erscheinen, die sich Melon oder Kermit nennen.

Ich hatte mich also bislang jeglichen Versuchen, meinerseits einen chinesischen Namen verpasst zu bekommen, erfolgreich widersetzt. Da ich es letztes Jahr ohne Probleme geschafft hatte, auf diese Weise mehrere Monate zu überleben, wollte ich das eigentlich weiter so handhaben.

Bis gestern.

Gestern bekam ich das Antragsformular für die Arbeitserlaubnis. Darin wird zwingend ein chinesischer Name verlangt. Ein Visum bekommt man auch ohne, (dauerhaft) arbeiten darf man aber anscheinend nur mit Pseudonym... Ich kam also nicht drumherum und musste mir einen chinesischen Namen zulegen.

Alle Vorbehalte ignorierend, stellte sich trotzdem noch die Frage, was für einen Namen ich annehmen soll?
Ich ließ mich von verschiedener Seite beraten. Den Vorschlag, zumindest die Laute meines richtigen Namens möglichst gut nachzubilden, fand ich als Startpunkt gut. Das war leider nicht so ganz einfach zu machen.
Also hieß es abkürzen und etwas freier übersetzen. Da der handelsübliche Chinese für seinen Nachnamen ein Schriftzeichen (= eine chinesische Silbe) und in der Regel für den Vornamen zwei verwendet, wurde aus meinem Nachnamen kompromisslos ein "Di". Im zweiten Schritt kürzten wir den Vornamen erst mal gedanklich auf Chris, um daraus ein chinesisches Ke Li (Ihr wisst ja sicherlich um die Probleme der Aussprache vom "r" in hiesigen Breiten...) zu machen.

Also Di Ke Li (der Nachname kommt zuerst). Hmmm.

Ke Li sei eine gebräuchliche Übersetzung von Chris ohne besondere Bedeutung, auch wenn das Zeichen für Ke laut LEO wahlweise "Gramm", "können", "bezwingen" oder "sich überwinden" bedeutet, während das Zeichen für Li entweder "Meile" oder "innen" heißen kann. Da es aber noch andere Schreibvarianten für sowohl Ke als auch Li gibt, erhöhen sich die Bedeutungsmöglichkeiten bei Änderung des Zeichens erheblich. Hier sind die möglichen Übersetzungen für Ke und für Li verlinkt.

Auch für Di gab es mehrere Optionen:
  1. 荻 - Schilf
  2. 帝 - Kaiser oder höchster Gott
  3. 狄 - chinesischer Familienname ohne Bedeutung
Alle drei Silben zusammen könnten dann also z.B. je nach Zeichenwahl bedeuten:
  • Hr. Li bezwingt eine Meile.
  • Das Schilf überwindet sich innen.
  • Der höchste Gott ist eine durstige Pflaume.
Richtig zufrieden stellte mich das alles nicht. Schließlich klingt Di Ke Li für einen nicht-Chinesisch-Sprechenden doch mehr nach "Die Kelly" oder "Dicker Li" statt nach meinem richtigen Namen. Beides nicht gerade toll.
Ich probierte es, mich den ersten kollegialen Ratschlägen widersetzend, also noch auf eigene Faust weiter und testete die Option mit einem richtigen "r" statt "l" - sprich Di Ke Ri. Schnell wieder bei LEO eingegeben, sah ich für Ri zunächst die harmlosen Bedeutungen Sonne und Tag, dann aber folgten vielfältige Verben, die fast ausnahmslos in Klammern von einem [vulg.] begleitet werden und die ich hier nicht alle widergeben möchte (der Blog soll jugendfrei bleiben) - wer möchte, siehe stattdessen hier ;-).

Um es kurz zu machen: Ich wollte nicht, dass mein chinesischer Name "Der Kaiser vermag zu schnackseln" lautet!

Nach einer Nacht mit diesen vielen Optionen im Hinterkopf war heute der Tag, an dem eine Entscheidung fallen musste. Ich fragte noch einen chinesischen Kollegen um Rat. Er vermutete, alle Optionen würden nicht wie gedacht Vor- und Nachnamen abbilden, sondern nur den Nachnamen. Dieses Feedback gab mir zu denken.
Warum eigentlich nicht? Anstatt den kompletten Namen in die chinesische Sprache übertragen zu wollen, es aber nicht richtig zu können, warum nicht lieber nur einen Teil, aber dafür besser?
Vieler Änderungen bedurfte es ja nicht: Das ke schnell an die dritte Stelle geschoben, geschwind ein Le gesucht, und eine kleine Umstellung von Di auf De (beide Varianten klingen chinesisch ausgesprochen ungefähr gleich ähnlich wie mein richtiger Name). Fertig war der Name.

德乐克 - De le ke

Und das ist die Bedeutung:
1. Zeichen: Tugend & deutsch
2. Zeichen: Freude
3. Zeichen: können

Macht zwar nicht viel Sinn, erscheint mir aber unverfänglich - und der Bezug auf Deutschland ist ja auch ganz nett.

Nun besitze ich also offiziell einen chinesischen Namen.
Eine Geschichte dazu, was er bedeutet und auch fast bedeuten könnte, habe ich auch. Ebenso befindet sich schon ein Sakko in meinem Besitz. Die Visitenkarten werden morgen zum Druck in Auftrag gegeben.
Dann muss ich nur noch üben, diese elegant hervorzuzücken und gekonnt zu übergeben.

Und schwupps bin ich perfekt integriert.

1 Kommentar:

  1. Ich finde "Der Deutsche kann mit Freude" auch viel besser als den schnackselnden Kaiser!

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